Deutschland: Aktivist*innen protestieren bei Aktionärsversammlung gegen Volkswagen
"Klimaaktivismus gegen Volkswagen: In der Höhle des Löwen"
Seit Jahren kämpfen Aktivist*innen gegen den Autobauer VW und für eine Verkehrswende – die jährliche Aktionärsversammlung ist ihr wichtigster Aktionstag. Was können sie erreichen? [...]
Der Grund für die Nervosität, mit der die vergleichsweise kleinen Protestaktionen begleitet werden: Es ist wieder Hauptversammlung bei VW. Seit fast zwei Jahren nun kämpft Amsel44 in Wolfsburg dafür, VW zu vergesellschaften und zu einem straßenbahnproduzierenden Betrieb umzubauen. Um dem zweitgrößten Automobilkonzern der Welt etwas entgegenzusetzen, hat sich die Gruppe in Wolfsburg mit einem Projekthaus niedergelassen. Die Adresse: Amselweg 44. Die Proteste im vergangenen Jahr schafften es bis in den britischen Guardian; Klimaaktivist*innen hatten mit Nacktprotest und Tortenwurf die Versammlung unterbrochen. [...]
Tobi Rosswog, Aktivist von Amsel44, lässt sich die Teilnahme an der diesjährigen Veranstaltung nicht nehmen. Er wurde mit Rederecht von den Kritischen Aktionären ausgestattet: einer Nichtregierungsorganisation, die sich von Aktionär*innen ihr Stimmrecht übertragen lässt. [...]
Auch die Geschichte der Stadt ist eine besondere – und ein Grund für die Aktivist*innen, hier zu demonstrieren: Gegründet 1938 als „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“, ist Wolfsburg eine Erfindung der Nazis. KdF ist die Abkürzung für „Kraft durch Freude“. Adolf Hitler beauftragte damals den Bau eines Werkes zur Produktion des von Ferdinand Porsche entworfenen Volkswagens. Doch dazu kam es lange nicht: Wegen des Kriegs wurden in Wolfsburg Rüstungsgüter produziert – von Kriegsgefangenen, KZ-Häftlingen.
Laut VW waren das etwa 20.000 Menschen, der Konzern hat die eigene Vergangenheit inzwischen aufgearbeitet, unter anderem in einer 1999 eröffneten Dauerausstellung. Das sei längst nicht ausreichend, sagen viele, wie auch die protestierenden Aktivist*innen. 1945 bekam Wolfsburg seinen jetzigen Namen. „VW prägt hier das Lebensgefühl. Es gibt den Witz mit den zwei Rathäusern: eins auf jeder Seite des Mittellandkanals. Das mächtigere sitzt nördlich davon.“ Dort steht das VW-Werk. [...]
Die bundesweit agierende IG Metall positioniert sich beim Thema Verkehrswende klarer, forderte Anfang des Jahres gemeinsam mit anderen Organisationen von der Ampelregierung, „in der verbleibenden Amtszeit ihre Verkehrspolitik stärker an ökologischen und sozialen Kriterien auszurichten“. Im entsprechenden Papier heißt es: „Wir brauchen einen anderen Mix mit einer deutlich gestärkten Rolle von Schienenverkehr, öffentlichem Verkehr und Radverkehr sowie einer neuen, darauf abgestimmten und in Anzahl und Wege-Umfang reduzierten Rolle des Automobils.“ [...]
VW sei an einem konstruktiven Dialog interessiert und „offen für Kritik“, so der Konzernsprecher. Proteste gehörten zur freien Meinungsäußerung. Aber: „Die Form des Protests sollte sich dabei stets innerhalb der gesetzlichen Grenzen bewegen, gewaltfrei durchgeführt werden und die Eigentumsrechte anderer respektieren.“ Er spielt auf gefälschte Plakate an, die wenige Wochen vor dem Protesttag in Wolfsburg aufgetaucht sind. Unter anderem Wolfgang Porsches Gesicht inklusive VW-Logo war darauf gedruckt, versehen mit dem ausgedachten Zitat: „Als Enkel des Kriegsverbrechers Ferdinand Porsche sind mir Ausbeutungsstrukturen durchaus bekannt. Deswegen sollte gerade bei VW endlich Schluss sein, auch mit dem Leben auf Kosten Anderer für einige Wenige wie mich. VW steht ab sofort für Vergesellschaftung wagen.“ Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Braunschweig bestätigt, dass Ermittlungen eingeleitet wurden. [...]
„Angefangen haben immer wenige.“ Donnermeier erzählt von Arbeitsplatzabbau und dem enormen Druck. Die gesundheitlichen Folgen: Bandscheibenvorfälle, Hörprobleme, Darmprobleme durch die ständige Schichtarbeit. „Die Frage ist immer, ob das was mit der Arbeit zu tun hat – aber unter gleichaltrigen Arbeitskollegen hat jeder dritte die gleichen Beschwerden.“
VW-Betriebsrat Lars Hirsekorn erlebt diese Probleme in seiner täglichen Arbeit. Seit Fridays for Future beschäftige er sich aber auch mit den klimaschädlichen Auswirkungen des Produkts Auto. „Wenn wir hier in 20 Jahren noch arbeiten und leben wollen, muss was passieren. Die ganze Gesellschaft muss sich bewegen.“ Eine Veränderung gemeinsam mit den Eigentümerfamilien funktioniere nicht. [...]