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Artikel

24 Jan 2023

Autor:
CORRECTIV und Frontal

Recherche: Bundesregierung macht sich für Einschränkung der Haftungsregeln im EU-Lieferkettengesetz stark, während Kautschuk-Nachfrage aus Europa weiterhin Rodungen & Vertreibungen in Afrika vorantreibt

"Verheerende Lieferketten", 24. Januar 2023

Seit Jahren roden internationale Agrarfirmen Regenwälder in Kamerun, um Kautschuk anzubauen – zum großen Teil für den europäischen Markt. Dort, in den entlegenen Regionen Zentralafrikas, befindet sich das erste Glied der Lieferkette, an deren Ende Matratzen, Schuhsohlen, Schläuche stehen, OP-Handschuhe, Kondome und vor allem Autoreifen, banale Alltagsprodukte, praktisch und reißfest...

Aber das praktische Material hat eine hässliche Kehrseite: Der Anbau bedingt brutale Eingriffe in die Natur...

Die EU hat das Problem längst erkannt. Neue Richtlinien und Verordnungen sind in Arbeit, die sicherstellen sollen, dass europäische Unternehmen weltweit auf die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards achten und für Verstöße gerade stehen müssen. 

Eines davon ist das EU-Lieferkettengesetz. Aber wie Recherchen von CORRECTIV und des ZDF-Magazins Frontal ergeben, versucht eine mächtige und politisch gut vernetzte Lobby aus Branchen- und Unternehmensverbänden, wirksame Regelungen auszuhebeln. Interne EU-Dokumente, Schriftwechsel und geheime Regierungspapiere legen nahe, dass die Bundesregierung der Lobby die Hand reicht und sich in Brüssel für eine Aufweichung in einigen kritischen Punkten einsetzt – besonders was die zentrale Frage der Haftung betrifft.

Zu den umstrittensten Kautschukfirmen in Afrika zählt Sud-Cameroun Hévéa, kurz: Sudcam. 2018 schlugen Umweltschutzorganisationen Alarm: Sudcam wird für die Rodung von 10.000 Hektar Regenwald in Kamerun und die Vertreibung von Baka-Völkern verantwortlich gemacht. Satellitenbilder, die CORRECTIV auswertete, belegen den Kahlschlag...

Sudcam ist Teil des Konzerns Corrie MacColl... Corrie MacColl selbst operiert unter dem Dach des in Singapur ansässigen Branchengiganten Halcyon Agri, der mehrheitlich im Besitz des chinesischen Konzerns Hainan Rubber und des ebenfalls chinesischen Staatskonzerns Sinochem ist... 

Auf Anfrage weist Corrie MacColl die Verantwortung für die Rodungen von sich und spricht von einer „geerbten“ Situation: Bis 2017 waren die Plantagen im Besitz einer anderen Firma, der Gesellschaft GMG Global. Allerdings gehörte auch diese Vorgängerin dem Konzern Sinochem und fusionierte 2016 mit Halcyon Agri – war also Teil derselben Firmengruppe wie Corrie MacColl heute...

Corrie MacColl teilt mit, man habe sofort reagiert, als ein Greenpeace-Bericht den Kahlschlag vor fünf Jahren öffentlich machte. Das Unternehmen habe umgehende „Ermittlungen zur Nachhaltigkeit“ im Betrieb seiner Plantagen begonnen, die zu „schnellem Handeln“ in Bezug auf das heikle „Vermächtnis“ geführt habe...

Ein Teil des Gummis landet direkt in Deutschland... In seinen Geschäftsberichten nennt der Konzern Halcyon Agri selbst die großen internationalen Reifenhersteller als wichtige Kunden – Bridgestone, Michelin, Goodyear, Continental. 

Continental beantwortet Fragen zu seinen Bezugsquellen nicht: „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns grundsätzlich nicht zu Geschäftspartnern äußern.“ Der größte Teil des verwendeten Kautschuk stamme aber aus kleinbäuerlichem Anbau. Woher genau, weiß Continental offenbar selbst nicht: „Eine komplett lückenlose Nachverfolgbarkeit von Naturkautschuk ist technisch gesehen aufgrund der hohen Komplexität der Lieferkette Stand heute nicht möglich“, teilt das Unternehmen mit. 

Auch Corrie MacColl will keine näheren Angaben zu seinen Kunden machen...

Tesa teilt auf CORRECTIV-Anfrage mit, das Unternehmen verwende nur Naturkautschuk aus Südost-Asien, nicht aus Afrika. Über seine Lieferanten „könne und wolle“ Tesa „aufgrund der Vertraulichkeit von Geschäftsbeziehungen“ keine Auskunft geben. Man stelle aber bei der Nachhaltigkeit hohe Anforderungen an die Zulieferer und prüfe entsprechende Zertifizierungen...

Auffällig ist, dass auch die Bundesregierung sich in Brüssel vehement für eine Schwächung der Haftungsregeln einsetzt. Das belegen Dokumente aus dem EU-Rat, also dem Gremium der Staats- und Regierungschefs in Europa, die CORRECTIV und Frontal vorliegen: Als der Rat sich im Dezember auf einen Kompromisstext einigte, stimmte Deutschland zwar zu – forderte aber Nachbesserungen.

Wie aus einem internen Protokoll der Ratssitzung hervorgeht, äußerten die deutschen Vertreter Unmut: Es seien einige Punkte, die Deutschland „sehr wichtig seien, nicht übernommen“ worden. In einer beigefügten Protokollerklärung wird die Bundesregierung deutlicher und stellt klare Bedingungen: Eine sogenannte Safe-Harbour-Regelung soll eingefügt werden. Deutschland werde einem Text nur zustimmen, „der diese Bedingungen erfüllt.“ Anders gesagt: Entweder die EU lenkt ein – oder ohne uns. 

Safe Harbour, sicherer Hafen; Deutschland hat im EU-Rat mehrfach auf diese Regelung gepocht: Ziel der Klausel wäre, die Wirtschaft vor Schadenersatzklagen zu schützen. Unternehmen müssten dann nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit haften müssen – nicht bei einfacher Fahrlässigkeit. Das wäre eine massive Erleichterung. Profitieren sollen davon Unternehmen, die anerkannte Zertifikate und Prüfsiegel verwenden...

Von Beobachtern in Brüssel und Berlin ist zu hören, dass vor allem die FDP sich in Deutschland für eine Aufweichung der Richtlinie eingesetzt hat...

Die FDP-Bundestagsfraktion antwortet trotz mehrerer Anfragen von CORRECTIV und Frontal nicht auf Fragen. Das Bundesjustizministerium gibt indes zu, die Safe-Habour Regelung im Kabinett vorgeschlagen zu haben...