Deutschland: Bei Subunternehmern angestellte indische Lieferkuriere erleben laut rbb-Recherche Arbeitsrechtsverletzungen und Gewalt
"Ausbeutung und Gewalt: Was indische Lieferkuriere in Berlin erleben - und wie sie sich wehren"
- Verstöße gegen das Arbeitsrecht bei Subunternehmern in der Essenslieferbranche
- Geschäftspartner von Wolt wusste nichts von der Firma, die er angeblich leiten sollte
- Arbeits- und Sozialminister in Bund und Ländern wollen gegen Subunternehmerbranche vorgehen
Irgendwann wollte Dheeraj Tyagi das alles nicht mehr hinnehmen: Löhne von teils 7 Euro die Stunde, willkürliche Abzüge vom Lohn und ein Arbeitsvertrag, an den sich nicht gehalten wird. Das sind die Bedingungen, die Tyagi und andere Lieferfahrer bei Subunternehmen von Uber Eats in Berlin erleben. Tyagi organisierte mit anderen – meist indischen – Kolleg:innen bei den Subunternehmen im Januar dieses Jahres einen Streik.
Es war das erste Mal, dass Uber Eats in Deutschland von einem Streik betroffen war. Ganz ohne Gewerkschaften, organisiert in einer WhatsApp-Gruppe mit 700 Fahrern. Zwei Tage lieferten sie damals keine Bestellungen aus. Ihre Chefs reagierten mit Drohungen. In einer Sprachnachricht sagte ein Subunternehmer, er werde den Anführern des Streiks "zeigen, was Mafia ist". Es blieb nicht bei den Drohungen: Ein Schlägertrupp prügelte einen der Anführer krankenhausreif. Tyagi wurde fristlos entlassen, indem sein Zugang zur App gesperrt wurde.
Uber Eats erklärte dazu auf Anfrage, die "beschriebenen Praktiken" seien "ganz klar inakzeptabel". Man habe mittlerweile die Zusammenarbeit mit dem Subunternehmen, bei dem Tyagi gearbeitet hatte, beendet. [...]
Die Subunternehmerbranche ist undurchsichtig: Zahlreiche Firmen sind nur kurz aktiv und verschwinden dann wieder. Teilweise werden die realen Verhältnisse verschleiert, wie im Fall der Lieferfahrerin Shiwani Sharma.
Die junge Inderin wusste über Monate gar nicht genau, bei wem sie eigentlich angestellt ist. Einen schriftlichen Arbeitsvertrag hatte sie nicht. Lieferaufträge wurden ihr in der unternehmenseigenen App von Wolt zugeteilt. Den Zugang zu dieser App hatte sie wiederum von einem Vermittler in einem Handyladen erhalten.
Am Ende des Monats sollte sie ihren Lohn je nach ausgefahrenen Lieferungen erhalten, sagte ihr der Vermittler. Doch tatsächlich arbeitete sie drei Monate, ohne bezahlt zu werden. Sharma entschied sich, vor dem Berliner Arbeitsgericht gegen Wolt zu klagen, um ihren ausstehenden Lohn einzufordern. Im Juni entschied das Gericht aber gegen sie. Sharma habe nicht nachweisen können, dass sie direkt bei Wolt angestellt gewesen sei. Wolt hatte im Prozess erklärt, Sharma sei bei einem Subunternehmen mit dem Namen IMOQX Gmbh angestellt gewesen. [...]
Der Geschäftsführer der IMOQX soll Jarosław T. sein, der noch zwei weitere Unternehmen in Deutschland leiten soll. Auch keines dieser Unternehmen ist auffindbar; ebenso wenig wie T. selbst. Seine in den Unternehmensdokumenten angegebene Wohnadresse: ein leerstehender Dorfladen in Brandenburg.
rbb24 Recherche ist es gelungen, Jarosław T. an seinem tatsächlichen Wohnort in einer Kleingartensiedlung im polnischen Poznán aufzufinden. Er ist alkoholkrank und lebt unter prekären Umständen. Im Interview mit dem rbb sagt er; er höre zum ersten Mal, dass er mehrere Firmen leiten und der Chef von mehr als hundert Lieferkurieren gewesen sein soll, die für Wolt gearbeitet haben. Offenbar ist Jarosław T. als Strohmann benutzt worden. Ein System, mit dem die tatsächlichen Verantwortlichkeiten in Firmen verschleiert werden. [...]
Wolt widerspricht dem auf Anfrage von rbb24 Recherche. Verträge wie mit der IMOQX dienten der "klaren Regelung von Verantwortlichkeiten. Sie dienen nicht dazu, arbeits- und sozialrechtliche Pflichten zu umgehen". Außerdem habe man nach festgestellten Verstößen die Zusammenarbeit mit der IMOQX GmbH Anfang Januar 2023 beendet.
Zum Strohmann-Geschäftsführer der IMOQX und Wolts Aussagen vor Gericht schreibt Wolt, dass man "keine näheren öffentlichen Details nennen" könne. Gründe dafür seien unter Anderem laufende oder abgeschlossene Gerichtsverfahren sowie der Schutz von Geschäftsgeheimnissen. [...]