Bundesarbeitsminister Heil: EU-Sorgfaltspflichtengesetz kann im globalen Systemwettbewerb helfen
'Hubertus Heil: Lieferkettengesetz kann im globalen Systemwettbewerb helfen', 3. Oktober 2022
EURACTIV: Das deutsche sowie europäische Lieferkettengesetz war Ihnen ja immer ein besonders wichtiges Anliegen... Was sind denn aus Ihrer Sicht die wesentlichen Punkte bei den Verhandlungen [auf EU-Ebene] und was wünschen Sie sich von dem Gesetz?
Hubertus Heil: Wir unterstützen den Vorschlag der Kommission, weil wir glauben, dass Europa gemeinsam als Wirtschafts- und Sozialmodell beweisen kann, dass Werte und Wertschöpfung keine Gegensätze sind. Daneben ist es eine Frage der Glaubwürdigkeit, dass wir in internationalen Lieferketten unseren Wohlstand und unsere Handelsbeziehungen nicht auf Kinder- oder Zwangsarbeit aufbauen. Mit unserem deutschen Lieferkettengesetz haben wir Pionierarbeit geleistet. Wir wollen, dass es auch in Europa für Unternehmen übersichtliche Regeln und ein level playing field gibt...
...Gibt es hier gewisse Bereiche, wo sie sagen, das sollte auf europäischer Ebene anders gemacht werden, als beim deutschen Lieferkettengesetz?
Ich glaube, dass wir eine Chance haben, nicht nur gemeinsame Regeln zu entwickeln, sondern auch den Zugang zu zivilrechtlicher Entschädigung für Betroffene zu stärken. Nach internationalem Recht haben Menschen, die durch ein europäisches Unternehmen in ihren Menschenrechten verletzt worden sind, auch das Recht, vor europäischen Gerichten zu klagen. Aber in der Praxis ist dies ein hochkomplexes Unterfangen, weil nach den Regeln des Internationalen Privatrechts das Recht des Landes gilt, in dem der Schaden eingetreten ist.
Wird etwa eine pakistanische Textilarbeiterin in ihren Rechten durch ein deutsches Unternehmen verletzt, kann sie zurzeit nur nach pakistanischem Recht vor deutschen Gerichten klagen. Der Vorschlag der Kommission will das ändern. Künftig könnte die Textilarbeiterin vor deutschen Gerichten nach deutschem Schadensersatzrecht klagen. Das verbessert ihren Zugang zu rechtlicher Abhilfe enorm und ist ein wichtiger Fortschritt.
Zweitens rücken wir neben den menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten auch die ökologischen Folgen des Wirtschaftens stärker in den Fokus, in dem wir die umweltbezogenen Sorgfaltspflichten deutlich ausweiten wollen. Ich und die gesamte Bundesregierung wollen, dass diese Richtlinie zu einem Erfolg wird für Europa...
Gibt es denn ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen dem Versuch, Lieferketten zu diversifizieren und gleichzeitig nachhaltiger und wertebasierter zu gestalten?
Nein, wenn man das vernünftig macht, ist das kein Gegensatz, sondern bedingt einander. Wir wollen ja keinen Protektionismus betreiben oder den Welthandel zurückdrehen, sondern es geht darum, vernünftige Grundlagen zu schaffen...
Sie haben die strategische Note des Lieferkettengesetzes ja bereits angesprochen. Spielt das denn auch im internationalen Wettbewerb der Systeme eine Rolle, oder geht es hier primär um Werte?
Es ist beides. Europa ist mehr als ein Binnenmarkt, sondern eben auch eine politische Gemeinschaft mit Werten, die versucht, Demokratie, Marktwirtschaft und Sozialstaatlichkeit miteinander zu verbinden. Wir wissen, dass wir politisch und wirtschaftlich in einer Systemkonkurrenz zu anderen Staaten stehen.
Gerade bei der Frage, wie wir mit anderen Wirtschaftsräumen, in Südamerika, Afrika oder in Asien umgehen, sind wir herausgefordert. Wir haben die Aufgabe, faire Partnerschaften mit gegenseitigem Nutzen aufzubauen und nicht die Augen vor Zwangsarbeit und Kinderarbeit zu verschließen...